Samstag, 5. Dezember 2009

Ein Zwischenbericht

Meine Güte, inzwischen ist Dezember. Wir marschieren gnadenlos auf Weihnachten zu.
Damit nicht der Eindruck entsteht, bei mir passiere nichts mehr, will ich einen Zwischenstand verkünden.

Ich bekomme zur Zeit weiterhin alle drei Wochen meine Infusion Docetaxel.
Die Nebenwirkungen kann ich inzwischen ganz gut abschätzen. Sie sind sind auch nicht mehr so ausgeprägt, wie am Anfang, bzw. halten auch nicht mehr so lange an.
Auf der einen Seite finde ich das natürlich gut, auf der anderen Seite lässt das aber den Gedanken aufkommen, dass ich mich langsam an das Zeug gewöhne. Was vielleicht mit einem Nachlassen der Wirkung einhergehen könnte. Bisher hat sich mein Körper immer sehr schnell auf Widrigkeiten eingestellt. Wenn ich überlege, was der in den letzten fünf Jahren alles weg gesteckt hat.

Eine Wirkung des Docetaxel ist nicht abzustreiten. Ich kann wieder problemlos atmen. Kein Vergleich zu dem Zustand, der mich im August notfallmäßig ins Klinikum verschlug. Etwa fünf Tage nach der Chemogabe stellt sich etwas Atemnot ein. Aber das liegt wohl an den angeknacksten Blutwerten und reguliert sich schnell wieder.
Das befürchtete Verfärben oder gar Ausfallen der Finger- und Zehennägel ist netter weise ausgeblieben. Dafür fallen mir die Barthaare aus. Warum ausgerechnet die Barthaare? Hätten es nicht die anderen sein können? Auf die könnte ich leichter verzichten. Ohne die leichte Matte im Gesicht fühle ich mich irgendwie nackig.
Taten mir am Anfang der Therapie noch alle Gelenke weh, so sind es diese Tage überwiegend die Knie. Wobei von Schmerzen zu sprechen eigentlich schon übertrieben ist. Es fühlt sich eher so an, als hätte ich einen langen Gewaltmarsch hinter mir und den Knien zu viel zugemutet. Dazu kommt eine innere Unruhe. Ich habe den Drang meine Beine unbedingt bewegen zu müssen, überhaupt irgendwas tun zu müssen.
Deshalb sitze ich wahrscheinlich auch jetzt am PC. Es ist kurz vor 4 Uhr morgens und ich bin fast hell wach.

Die Nebenwirkung Übelkeit ist eigentlich nicht vorhanden. Ok, ich nehme in den zwei Tagen um die Chemogabe prophylaktisch entsprechende Medikamente. Aber ich glaube auch ohne würde die Übelkeit nicht so ausgeprägt sein, wie beim Yondelis.
Dafür zieht sich ab dem zweiten Tag massiv die Schleimhaut im Mund- und Rachenbereich zurück. Und mit ihr der Geschmack. Das ist total blöd. Denn Hunger und Appetit sind nach wie vor gut.
Ausgerechnet dann habe ich Appetit auf die leckersten Sachen. Ich sehne mich nach einem Geschmackserlebnis. Ich weiche dann auf Sachen auf, die mehr Flüssigkeit bzw. Soße dabei haben. Denn die scheinen noch irgendwelche versteckten Geschmacksnerven zu erreichen.
Der absolute Renner ist zur Zeit meine selbst gemachte Hühnersuppe. Da kommt ein richtiges Hähnchen rein. Kein vertrocknetes Suppenhuhn. Dann zum Köcheln viel Suppengemüse, Ingwer, Knoblauch, Zwiebeln, Lorbeer, Nelken und Chili. Nach dem Abgießen wird noch mit Salz, Pfeffer, Curry und Curcuma gewürzt. Serviert wird sie mit Frühlingszwiebeln, eingekläppertem Ei und ein paar Eierflädle.
Die Suppe kommt aber nicht nur bei mir gut an. Deshalb greife ich inzwischen schon zu größeren Töpfen.

Sehr gut vertrage ich auch Spaghetti Aglio e Olio. Die habe ich schnell gemacht, und das Olivenöl legt sich wohltuend über den trockenen Mund und Rachen.

Ein saftiges Steak wäre aber völlige Verschwendung. Da schmecke ich gar nichts von. Meine Güte, es ist 4 Uhr und ich träume von einem saftigen Steak. So weit ist es schon.

Themenwechsel.

Am 6.11.09 hatte ich ein MRT vom Kopf. Der Radiologe konnte nichts entdecken, was er eindeutig als Tumor bezeichnen würde. Das Gehirn ist auf jeden Fall frei. In der Augenhöhle ist nichts zu entdecken. Nur am unteren Rand der rechten Stirnhöhle ist eine kontrastreichere Stelle. Das muss aber kein Tumorgewebe sein, wird aber natürlich weiterhin beobachtet.
Ich denke mal, dass sie Bestrahlung ihren guten Teil dazu beigetragen hat. Wäre schön, wenn da oben mal Ruhe einkehren würde.
Die Hautschäden haben sich inzwischen fast völlig zurück gebildet. Die Haut ist nicht mehr verfärbt und schuppt sich kaum noch. Nur die Haare der rechten Augenbraue sind noch weg. Ist aber auch kein Wunder, denn seit meiner Entlassung aus dem Krankenhaus reibt da rund um die Uhr eine Augenklappe.

Vor drei Tagen war ich wieder zur Wundkontrolle bei dem Operateur, der das Auge entfernt hat. Das Hauttransplantat ist trotz der 30 Bestrahlungen sehr gut angewachsen. Bis zur nächsten Kontrolle am 7. Januar soll ich nur mit Iruxol-Salbe behandeln und darauf achten, dass das Gebiet nicht austrocknet.
Eine Kompresse bräuchte ich auch nicht mehr einlegen. Aber wenn ich die weg lasse, läuft die Salbe so wieder raus. Die Sauerei brauche ich nicht.
Vielleicht brauche ich dann ab Januar „schon“ keinen Verbandswechsel mehr machen. Dann könnte ich wenigstens nachts die Augenklappe mal weg lassen.

Am 12.01.2010 geht’s dann doch nach Masserberg in die Reha.
Oh Mann! Vier Wochen Exil am Arsch der Welt. Der Widerspruch wurde abgelehnt. Die Rehaeinrichtung wäre für mich genau richtig.
In dem Ort ist gerade mal nichts. So wie es aussieht, nicht mal die Möglichkeit sich was außer der Reihe einzukaufen. Es sei denn, man nimmt die übertriebenen Preis am Kiosk in Kauf.
Besonders blöd finde ich die Geschichte mit der Telefonanlage.
Laut Prospekt bekomme ich als Patient eine hochmoderne Telefonanlage zur Verfügung gestellt. Das kostet natürlich. Ich muss 12 Cent/Minute bezahlen, und jeder der mich anrufen möchte darf 14 Cent/Minute berappen. Da nützt es auch nichts, wenn man zu hause einen Tarif hat, der einem ohne Mehrkosten das Telefonieren im deutschen Festnetz erlaubt. Tja, die hochmoderne Telefonanlage, von der ich wahrscheinlich eh nur das eine Endgerät in meinem Zimmer zu Gesicht bekomme, muss halt über eine teure 01805er Nummer finanziert werden.
Das wäre ja alles nicht so schlimm. Es gibt ja noch Internet. Ich bekomme Christines Netbook mit und wir könnten uns dann über ihre UMTS-Flat und Skype per Bildschirmtelefonie unterhalten. Allerdings nur, wenn das Netz dort entsprechend ausgebaut wäre. Wenn ich Glück habe, bekomme ich dort gerade mal eine GPRS-Verbindung hin. Grauenvoll!
Wenigstens war die Rentenversicherung so entgegenkommend, dass ich nicht unbedingt über die Feiertage dort hin muss.
So können Christine und ich unseren ersten Hochzeitstag, Weihnachten und Silvester immerhin in unserem neuen Zuhause feiern.

Ich finde es auf jeden Fall schön, dass zur Zeit etwas Ruhe eingekehrt ist, und ich nicht das Gefühl habe ständig auf dem Sprung sein zu müssen, weil irgendein Tumor mal wieder akut Probleme bereitet.
Jetzt heißt es Chemo wirken lassen und je nach Verfassung den Garten auf den Winter vorzubereiten. Wie schön, dass wir hier einen Garten haben.
Ich hoffe diesen Winter auf richtig vieeeel Schnee. Angeblich kann man hier durchaus damit rechnen.
Nicht wie in Gründau, wo das Gefusel gegen Mittag wieder weg getaut war.
Ich werde berichten. ;-)